Die CD ist aus einem traurigen Anlass entstanden: das musikalische Ergebnis der Verarbeitung von (gewaltvollen) Kindheits-Erfahrungen. Die Dramaturgie wirkt wie ein Bewältigungsprozess. Die Oud spielt eine zentrale Rolle, verleiht sofort eine spezielle Stimmung und Ästhetik.
Das Instrument ist klanglich stark festgelegt – durch Steirisch als Gesangssprache wird dies jedoch aufgebrochen. Der Musiker, der auch Musikwissenschaftler ist und aus Syrien stammt, entdeckte bei den Proben, dass viele Kompositionen nicht sehr typische, westliche Harmonien enthielten. Gemeinsam stellten wir fest, dass dies vermutlich der Nähe Österreichs zum Balkan geschuldet ist. Denn ich wuchs in einem Dorf in der südlichen Steiermark mit Volksliedern auf. Und ich bin immer noch tief in dieser Tradition verwurzelt. Bestimmte tonale Merkmale beeinflussen mein Hörverständnis bis heute und stellen einen wichtigen Teil meiner Identität und Forschung als Musikerin dar. So erklärt sich vielleicht auch ein Hang zum Melancholischen.
Für mich steht das Wort im Mittelpunkt. Ob geschrieben, gesungen, getanzt oder gespielt. Meine Songtexte müssen eine poetische Qualität aufweisen. Das ist wichtig für mich, denn ich beschäftige mich vielseitig mit dem Schreiben. Die inhaltliche wie auch klanglich-kreative Auseinandersetzung mit Bedeutung und Rhythmus von Sprache und Wörtern soll in meiner Musik deutlich werden. Schon allein aufgrund dessen, was Dialekt mit sich bringt.
Damit erschaffe ich in manchen Songs eine Atmosphäre erzählerischer Dichte und einer intimen Stimmung wie im Lied „I Used To Love You“. Hier wollte ich auch das Spiel mit Dissonanzen ausloten. An anderen Stellen führt der Songtext bereits zu einem fröhlicheren Groove oder einer lustvollen Weite, so wie in „Mounchmoi/Sometimes“. Um den Zuhörer*innen den Zugang zu erleichtern gibt es zur CD analoge und digitale Text-Booklets samt Übersetzungen.
Entsprechend meines künstlerischen wie auch privat sehr diversen Umfelds war das Ziel der CD, eine Verbindung von Jazz, Folk, Pop und World mit allem Schönen, was noch so dazwischenliegt, zu kreieren. Alle Einflüsse und auch Spieltechniken der Kollegen, die aus Syrien, der Türkei und Japan kommen, sollen für Zuhörer*innen spürbar werden. Manchmal klar, manchmal unscheinbar, manchmal a-typisch. Den Instrumenten habe ich immer wieder Freiräume gegeben, in denen sie ihr Klangspektrum entfalten, ja, sich austoben können. Dies zeigt die Präferenz meines kollektiven Ansatzes in der künstlerischen Zusammenarbeit. Daher weisen einzelne Stücke eine ungewöhnliche Länge auf. Eine bewusste Freiheit des Projekts, die besteht, wenn alles in Eigenregie umgesetzt wird und – noch- kein Druck von außen, wie z.B. durch ein Label, besteht.
Die musikalische Substanz des Albums wird gebildet mit und von einer Bandbreite tonaler Abwechselung und Emotionalität. So ist auch der aus der Türkei stammende und in verschiedenen Ländern ausgebildete Perkussionist ein sehr gefühlvoller Vertreter seiner Kunst. Auf Witz und Leichtigkeit sowie der Liebe zu Klassik verweist der Pianist, der aus Japan stammt und eigentlich ausgebildeter Bassist ist.
Songs auf der CD | #neodialect
Es gibt 12 Stücke, welche im Berliner Hot Milk Studio im Mai 2021 aufgenommen und 2022 in The Famous Gold Watch Studios gemixed und gemasterd wurde. Unter den Songs ist nur ein Nicht-Eigenes, das irische Traditional, „Black is the Color“, welches auf Englisch und Steirisch neu interpretiert wird. In sieben Songs wird ausschließlich auf Steirisch gesungen und „Grannys Garden“ hat zwar einen englischen Titel, ist aber ein A cappella ohne Worte, in dem ich meine individuelle Improvisationssprache ausgelotet habe. Im letzten Stück wird mit der Stimme ohne Worte zu einer ausgelassenen Stimmung mit den drei Kollegen improvisiert. Die CD entlässt die Zuhörer*innen also mit einer positiven Stimmung.
Musik:
Ulrike Düregger – Gesang, Komposition, Lyrics
Daisam Jalo – Oud
Hisato Tsuji – Piano
Onur Kirmaz – Perkussion, Schlagzeug
Aufnahme – Rob Cunnings, Hot Milk Studio Berlin, Mai 2021
Mixing – Bob Spencer, The Famous Gold Watch, August 2021
Mastering – Francesco Salvadori, The Famous Gold Watch, November 2021
Design – Studio Siebein + Laucke
Fotos – Philip Jeske
Make Up – Christiane Buchholz
Aufnahme mit freundlicher Unterstützung durch Sonderprogramm Stipendium, Senatsverwaltung für Kultur und Europa Berlin, 2021
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