Im Recherche-Projekt zur Zeitgenössisierung der Figur Elektra habe ich mich 2022-23 mit dem Stoff auf vielfältige Weise auseinandergesetzt. Ich studierte Primär- und Sekundärliteratur und widmete mich Ideen der künstlerischen Umsetzung. Als Form interessierte mich neben dem Performativen auch Video-Art.
In der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Interpretationen von Sophokles, Euripides, Aischylos, Hofmannsthal, Sartre, O‘Neill, Schrott und auch der Oper von Strauß sowie auch einem Hollywood-Blockbuster war folgendes interessant für mich: a) Abweichungen bzw. Schwerpunktsetzung in der Darstellung der Handlung, Stichwort Konvention und Emanzipation, b) wiederkehrende Elemente wie z.B. das Motiv des Hundes oder Figurenkonstellationen, c) Gender-Unterschiede in der Erzählweise, Stichwort feministischer Ansatz. Dabei berücksichtigte ich den historischen, kulturellen und geografischen Kontext.
Zwei Interpretationen fand ich aufgrund ihres zeitgenössischen Ansatzes besonders inspirierend: Becoming Elektra von Christian Handel, eine queere Fantasy-Geschichte, die in einem futuristischen Setting mit Klonen und Magnetautos angesiedelt ist. In Elektra (Prosa) stellt die Autorin Stephanie Saint Frauenfiguren der griechischen Mythologie in den Mittelpunkt. Sie fasst das antike Geschehen sehr verständlich, psychologisch spannend und modern ein.
In der Sekundärliteratur widmete ich mich den Themen Ohnmacht, Wahnsinn, Hass, Rachsucht und Gewalt anhand unterschiedlicher Autor*innen. Identität und Gewalt von Amartya Sen setzt sich genau damit auseinander. Mich interessiert Gewalt als letztes Mittel, als politische Reaktion auf soziale Milieus, in denen struktureller Rassismus (The Hate U Give, Angie Thomas) und intergenerative Erfahrung der Vertreibung (Während die Welt schlief, Susan Abulhawa) präsent sind. In diesem Zusammenhang, weil ich mich auf den Zeitraum der Kindheit konzentriere, ging es auch vertiefend um den Einfluss von CPTSD, Childhood/Complex Posttraumatic Stressdisorder. Wie verstärkt diese Diagnose gewaltvolles Handeln aufgrund hoher Belastung durch u. a. Vernachlässigung?
Ich hatte insgesamt sechs Monate für den Prozess der Recherche, an dessen Ende viele ästhetische Ideen und eine rohe Textfassung, eine Adaption für ein Solo-Stück entstanden.